Fotografie: Nell Kilius

Bestellbar im GRÄV-Verlag, Egerländer Straße 4, 82166 Gräfelfing. ISBN 978-3-942138-24-6


Tournee durch Südamerika 1958

Am dritten März 1958 ging die Reise los. Ich bestieg in Wien den Zug nach Genua, denn dort wartete das französische Schiff. 33 Tage sollte die Reise bis Santiago de Chile dauern.

Buenos Aires konnte man noch mit europäischer Erziehung erfassen, aber Chile liegt wirklich auf der anderen Erdhälfte .Es gibt keine augenscheinlich großen Unterschiede, sondern es ist einfach alles anders. Sofort fällt auf, dass es hier ungeheuer schmutzig ist, keine Verabredung wird eingehalten, alles wirkt schlampig und nicht perfekt, die Mode ist grob, zehn Jahre hinter uns her, Artikel, die in Chile hergestellt werden sind aus schlechten Materialien, aber die City von Santiago ist sehr belebt, ungeheuer großstädtisch. Die reichen Chileninnen, besonders hübsch, wenn sie spanische oder deutsche Vorfahren haben. Die echten Chilenen, die Araukaner, sind klein, pummelig und besitzen eine dunkelbraune Hautfarbe.

Am 29. April ist schon die erste Premiere: „Ein Glas Wasser“ von Eugène Scribe. Ich spiele die tolle Rolle der Königin Anna. Geprobt wird wie am Düsseldorfer Schauspielhaus, so viel und so intensiv. Morgens und abends bis ein Uhr nachts. Letzten Sonntag war ich so müde, dass ich durchgeschlafen habe und die Montagprobe versäumte. Direktor Olszewski war milde. Eigentlich sollten wir zu Ehren von Konrad Adenauers Besuch auftreten, aber er sagte ab und so mussten wir uns Herrn Gerstenmeier eine Stunde lang anhören.

Wir wurden auch schon von Präsident Ibañez empfangen, der letzte Woche seine einzige Berühmtheit erlangte, als er die Einladung nach Washington ablehnte, weil die USA eine zu unfreundliche Haltung Südamerika gegenüber, einnehmen. Das stimmt allerdings.

Gestern war Premiere von „Glas Wasser“, ich glaube, ich war recht gut, der Regisseur war jedenfalls begeistert von mir, das Publikum aber sagenhaft idiotisch, kaum Reaktionen Das Einzige was ankommen würde: ist Hose runterlassen Wir Schauspieler waren entsetzt, denn alle waren gut, Kostüme, Maske, Bühnenbild, tipp topp. Die Leute sind hier Theater ungewohnt, nur die jüdischen Emigranten verstehen es, ein älterer Wiener erzählte mir, dass die berühmte Burgschauspielerin Nora Gregor in Santiago gestorben ist.

Ein kurzer Brief von der Tournee.







Durch das wilde Afghanistan
oder:
Die sehen wir nie wieder!


Und nun wird's aufregend und spannend auf der Fahrt über den Khyber-Pass nach Kabul.

Wir fahren durch ein abgesperrtes Bergbewohnergebiet. Links und rechts Festungsähnliche Häuser, Schießscharten, richtiges Rebellengebiet, mich gruselt es. Wieder ein Kontrollpunkt in Jumrud, sehr schnelle Abfertigung, der Beamte kann nicht lesen und schreiben und mit der Berufsangabe, da seien, weiß er gar nichts anzufangen. Schließlich schenkt er uns die Gebühren und Süßigkeiten. Nun beginnt die eigentliche Fahrt über den Pass. Durch ein Stammesgebiet r Wehrhäusern, meist sehr versteckt, überall Kamele, schöne weite Gebirgsblick Farbstimmungen, zuerst nur leichte Steigung, dann ein weites Tal, Orte, in Landi Kotal haben wir wohl die Höhe erreicht. Wir steigen aus und kaufen nette Beile und Coca Cola im Basar. Nur Dieter trank meistens Cola auf der Reise, aber glücklicherweise gab es dieses Getränk damals nur ganz selten zu kaufen.

In Kabul empfing uns deutsche Gemütlichkeit, man half uns, das Auto in eine Mercedes-Werkstatt zu bringen, half beim Aufbau der Bühne in der amerikanischen Botschaft und man machte mit uns ausgedehnte Stadtbesichtigungen. Kabul liegt hoch, nachts ist es kalt (6° Celsius), oft toben Sandstürme, es ist umgeben von schneebedeckten Gebirgsketten, in der Ferne liegt der Hindukusch. Es liegt am Fuße des Great Babrus, oben ist eine Festung und täglich um 12 Uhr wird aus einer Kanone 3 mal geschossen. Die Straßen sind breit, es gibt ein Universitätsgelände, einen Bahnhof des Scheichs Aman-Ullah, sein Lustschlösschen und ein modernes, großes Theater und ein Museum. Unser Klassikerabend: "Die Mitschuldigen" von Goethe und "Der Heiratsantrag" von Tschechov fand vor 350 Personen statt. Illustres internationales Publikum: in der ersten Reihe wurde dem amerikanischen Botschafter leider ziemlich laut übersetzt. Wir erfuhren auch, daß es eine afghanische Laienspielgruppe gab, die uns herzlich bewunderte.

Am nächsten Tag ausgiebig in den Basar. Haben uns eingekleidet mit Karakulschaf-Mützen, Jacken, warmen Hausschuhen. Ich erstehe einen herrlichen Teppich, einen Daulahabad. Seither wäre ich leidenschaftliche Teppichsammlerin, aber die großen Stücke sind immer teuer. Am Abend "Die Milchstraße" wieder vor 300 Personen. Beim Einpacken und Verladen unserer Kulissen frieren wir bei -6° Celsius. Am nächsten Morgen verlassen wir mit den besten Wünschen und feinem Reiseproviant das entlegene Kabul, um die gefährliche Route Kandahar-Farah-Herat-Meshed bis Teheran zu meistern. Das Auto wird voll getankt, die Luft geprüft, Öl nachgeschaut und ab geht's.

Gute Straße, öde Gegend, alles eben. Das schöne Ghazni liegt am Weg. 14 zerstörte Brücken, wir fahren durch die trockenen Furten, es wird dunkel, ich habe es mir bequem gemacht, die neuen Hausschuhe angezogen und döse vor mich hin - plötzlich spüre ich, wie wir eine Böschung herunterkippen. Glas klirrt, ich kann aus dem zersprungenen Fenster klettern, die Kollegen kriechen auch aus allen Löchern. Niemand ist verletzt, wir umarmen uns und zittern vor Eiseskälte. Joost erzählt, daß er auf der ebenen Straße Scheinwerfer immer näher kommen sah, der Lastwagen blendete plötzlich ab, und drängte ihn von der Straße. Minuten später nähern sich uns Soldaten mit dem Gewehr in der Hand, es ist bedrohlich. Dieter schreit: "What shall we do, what shall we do?" Noch in dieser Aufregung hält ein "Linienbus" an und die Soldaten drängen mich und Imme Siedhoff, Hubert und Dieter hinein. Abenteuerliche Fahrt im überfüllten Bus mit vielen Haustieren und Hühnern. 10 Kilometer bis Mukur.

Das Hotel ist ein Steinbau aus den Zeiten der Engländer. Es ist kalt, wir verrammeln die Fenster und schlissen die Fensterläden, denn ein eisiger Wind pfeift durch das Haus, das mit den erlesensten Teppichen ausgelegt ist. Nach der Toilette sollte man besser nicht fragen. Endlich spricht jemand englisch und berichtet, daß ein Jeep Joost und Hubert holt, Soldaten bewachen den Bus. Wir legen uns zu zweit ins Bett. Am Morgen springt Hubert auf und sagt lachend: "Schon fertig". Er hat mit Mütze und Schuhen und Mantel geschlafen. Mit Hilfe des Gouverneurs haben wir einen Lastwagen und mehrere Männer gestellt bekommen, die zur Unfallstelle fahren. Schnell wird der Mercedes-Bus aufgerichtet (alles ist eingefroren) und abgeschleppt. Leider geht auch der Lastwagen kaputt, beide Fahrzeuge werden in den Ort geschoben. Wir versuchen, so gut es geht, die Teile der Windschutzscheibe, die erhalten sind, einzusetzen, das Fahrgestell zurechtzubiegen. Wir verrammeln mit Tüchern und Papier die Fenster und beschließen, noch eine Nacht in Mukur zu bleiben. Wir kaufen uns das gute Fladenbrot, das in einem heißen Erdloch gebacken wird, füllen es mit Zwiebeln und dazu gibt's Melonen. Sehr gut. Abends macht ein mürrischer Diener Feuer im Kanonenofen mitten im Zimmer, es qualmt mehr als es brennt, Stimmung ganz gut, wir spielen Karten.

Am nächsten Morgen gegen 10 Uhr kommen wir weg. Obwohl wir dick angezogen sind, frieren wir erbärmlich. Trotz einiger Sandstürmchen kommen wir gut über Ghazni - "das wir bereits kennen" nach Kabul. Herr Grüning erwartet uns schon. Erst mal waschen - wir sind total eingestaubt und dann Abendessen - Rindsrouladen! Göttlich. Die Firma Hoch-Tief ist unsere Rettung, ein Herr Lenz verspricht uns, daß der Bus gerichtet werden kann und noch dazu so schnell wie möglich. Aber fünf Tage wird's schon dauern. Deshalb planen wir eine dritte Vorstellung. "Der Prozess" - eine Lesung. Wir ziehen in ein teures Hotel, sind aber oft eingeladen, schlendern durch den Basar, ich kaufe einen handgroßen, ungeschliffenen Lapislazuli, und ein Haremsfenster, das ich in mein Bett einbauen ließ. Mir ist immer kalt.

Nicht am fünften Tag, sondern erst am sechsten ist der Bus fertig. Die Vorstellungen in Teheran konnten verschoben werden, so daß wirß Tage Zeit für die berüchtigte Strecke haben. Wieder begleiten uns die besten Wünsche, aber kurz nach der Abfahrt zeigt sich ein Schaden in der Heizungsleitung. Plötzlich bekommen alle Panik und wollen augenblickliche nachhause fliegen. Wir beruhigen uns wieder und kommen ganz gut bis Ghazni. Dort haben wir eine Reifenpanne. Ich hatte das Gefühl, daß uns die Leute in der Hauptstraße schon kannten. Im Dunkeln weiter an der Absturzstelle vorbei nach Mukur. Schlafen alle im gleichen Zimmer. Am zweiten Tag durchfahren wir 38 Furten, öde Gegend. Kandahar - die Straße ist wie hartes Wellblech, im Dunkeln singt Dieter mit schöner Tenorstimme "Es leuchten die Sterne" - unsere Stimmung ist wieder hergestellt und wir gewinnen dieser einsamen Berg- und Wüstenstraße ihre Reize ab. Draußen heulen die Hyänen. Wir übernachten sogar in einem geheizten Hotel.